Artist in Residence – Birgit Zinner
…Birgit Zinner und die „Erweiterte Malerei“…
Schon während meines Studiums auf der Angewandten vor ca. 35 Jahren habe ich mich mit Überlegungen zur Überwindung der Grenzen der Malerei beschäftigt. Ausgehend vom Raum und von Theorien über dessen Eigenheit habe ich die Malerei mit Farbe und Schichtung einerseits als Methode der Untersuchung und Analyse im konzeptionellen Sinn verstanden und verwendet, andererseits versucht, die Form des Tafelbildes zu sprengen und das Bild in den Raum auszuweiten. Damals sind die ersten Cut-Outs, Objekte und Bildobjekte mit Durchblicken, entstanden. Ebenso mit derselben Thematik der Trickfilm Teils-Teils, der jetzt gerade bis Ende Februar im MQ21 in Wien, eingebaut in eine Installation, zu sehen ist. Ich versuche nicht nur die räumliche Dimension, sondern auch Beweglichkeit und Veränderlichkeit der Objekte und Bilder in die Arbeit einzubeziehen. Dabei ist deren Abgegrenztheit und Unabhängigkeit voneinander und in Konsequenz dessen auch von mir noch dazu eine Frage, der ich auch zunehmend nachgehe, sei es in Form von konzeptionellen Gesamtwerkszeichnungen oder Performances und Filmen, (siehe u.a. Kunst mit Wesen, Buch, erschienen 2019 im Verlag Moderner Kunst; Buchfilm https://www.youtube.com/watch?v=rn_Ywq2sd7w und Performance (z.B. Kunsthalle Wien 2015; https://www.youtube.com/watch?v=BnTbJn3Vq50
Grafik – Malerei – Objektkunst / Linie – Zeichnung – Schnitt / Farbe – Fläche – Schichtung /
Ich liebe es, einen (Untersuchungs-)gegenstand zu definieren und diesen dann auszuloten. Gibt es eine Grenze von Malerei und Grafik und worin besteht die? Wann kann ich von Bild, wann von Objekt sprechen? Welche Form, welche Ausdehnung hat das Objekt im Raum und wie trennt es sich gegenüber mir bzw. der/dem BetrachterIn ab? Prinzipiell möchte ich Gegensätze aufzeigen und vereinen, gleichzeitig und gleichwertig. Wichtig dabei ist, ein beliebiges Misch-Masch zu vermeiden.
…arbeiten und Entscheidungen treffen…
Auch beim Arbeiten gilt es, ständig Entscheidungen zu treffen. Meistens gibt es bei Beginn der Arbeit keinen strengen Entwurf, d.h. die Arbeit entsteht im Moment durch Steuerung des Materials und des Zufalls. Ich beobachte mich und den Prozess und beziehe diese Elemente in die Arbeit ein. Freilich gibt es im Voraus ein bestimmtes Interesse bzw. eine Vorstellung von Größe und Form, viele Arbeiten entstehen auch seriell, sodass die dann aktuelle Arbeit eine Variation der vorherigen ist. Wobei ich gleich sagen muss, dass für mich alle meine Kunstwerke, die ich seit 1986 fabriziert habe, miteinander in Verbindung stehen und ein sich ständig veränderndes Gesamtwerk bilden, also die einzelne Arbeit nicht komplett allein steht.
…decoupieren ist irgendwie wie zeichnen…
Die Herstellung ist langwierig und arbeitsaufwendig. Die Einzelteile schneide ich selbst meist aus MdF oder Sperrholz händisch mit der Stichsäge oder der Decoupiersäge aus. Das ist irgendwie wie Zeichnen, denn es werden Linien gezogen, zugleich muss ich aber darauf achten, dass Flächen entstehen und festlegen, was wegfällt. Wobei generell die Negative wieder verwendet werden und daraus ergänzende oder neue Arbeiten entstehen. Nicht, weil ich „Abfall vermeiden“, sondern möglichst viel und (in anderem Kontext) einbeziehen möchte. Die Teile werden einmal provisorisch zusammmengefügt, grundiert, gekittet, geschliffen, nochmals grundiert, geschliffen usw., sodass ein samtiger gleichmäßiger Grund entsteht. Die Farbe wird aufgetragen, meist werden auch die dünnen Seitenflächen bemalt. Ich setze kontrastreiche Farben aneinander mit wenig schwarz. Selbst in diesem Augenblick ist noch alles offen. Manchmal verändert sich die Form und der Charakter noch komplett. Oft scheint es in diesem Moment, als ob alles auseinanderfällt. Erst dann wird die endgültige Erscheinung bestimmt und die Malerei fertiggestellt.
…beharrendes Nachprüfen und Abklopfen…
Ich arbeite nicht zeitlich linear. Es entstehen zwar immer wieder Serien, Gruppen von Arbeiten zu bestimmten für mich interessanten Aufgaben, doch die Themenstellung wiederholt sich immer wieder nach einigen Jahren und wird aus einem anderen Gesichtspunkt wieder behandelt. Dieses immerwährende, beharrende Nachprüfen und Abklopfen ist ein typisches Merkmal meiner Arbeit. Für mich immer wieder befriedigend ist, wie viele Fragen weiterhin auftauchen.
…Reaktionen und Gegebenheiten…
Die Aufnahme meiner Kunstwerke durch das Publikum in den Galerien und im Atelier war für mich anfangs enttäuschend. Die Hoffnung, mein von Beginn an komplexes und schwer zu entschlüsselndes Werk mit einem nonchalanten „Friss oder stirb“ zu präsentieren und dabei Verständnis zu erlangen, erwies sich als nicht erfolgreich. Abneigung, Hilflosigkeit und Missverständnisse waren häufige Reaktionen. Die Lösung konnte nicht sein, meine Arbeit für die BetrachterInnen zu analysieren und dann vorzutragen, vielmehr versuchte ich, die Reaktionen und Gegebenheiten als Anregungen und Problematik selbst in die Arbeit einzubeziehen. Diesen Aspekt, den Blickwinkel des Publikums, habe ich auch ganz konkret in meiner kommenden Ausstellung in der Kunstsammlung des Landes Oberösterreich berücksichtigt.
… Lipsis und Limnis…
Der Titel der kommenden Ausstellung ist Lipsis und Limnis. 2011 habe ich angefangen, horizontal an eine Stange gereihte Flächen aneinanderzureihen und diese im Raum zu positionieren. Diese Arbeiten nenne ich Lipsi, ein Begriff, der in den 50er Jahren vergeblich der DDR-Jugend aufgezwungen werden sollte, dann weitgehend in Vergessenheit geriet und nun mit meinen Objekten einen neuen und sympathischen Charakter bekommt. Entwickelt haben sich diese Objekte durch die Beobachtung, dass wie selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass Kunstwerke an der Wand oder im Raum von einer allgemeinen Höhe aus wahrgenommen werden, was ja nicht der Fall ist, da die Körpergröße der BetrachterInnen divergiert und damit auch der Blickwinkel. Je nachdem von welchem Gesichtspunkt man die malerischen Objekte betrachtet, entwickelt sich ein anderer Eindruck. Also nicht nur ein drauf-, durch-, und von der Seite-Schauen, sondern auch ein von unten und von oben. Ich zeige neben variablen, mit Flügelmuttern fixierte Bildobjekte an der Wand mehrere stehende und von der Decke hängende Lipsis und neue, quer von der Wand wegragende Bildobjekte. Eines dieser Limnis ist gerade hier im Salzamt in Entstehung.
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