Eun Ji Lee – Artist in Residence

 

 

… als junge Komponistin bin ich auf der Suche nach meinem Klang…

Der eigene Klang, die eigene Sprache sind für mich die Klang-Identität eines Komponisten. Man kann diese Klang-Identität aus den Kompositionen heraushören. Wenn wir zum Beispiel Musik von Mozart oder Beethoven hören, können wir nur mit den Ohren unterscheiden, welches Stück von wem geschrieben wurde.

 

Die koreanische Komponistin Eun Ji Lee im Interview ….

 

Was fasziniert dich an Neuer Musik?

Mich fasziniert besonders die Tatsache, dass bei der Neuen Musik eine unendlich kreative Welt mit rationalem Denken kombiniert werden kann. Man könnte es auch Beschreiben als eine Verbindung von Herz und Kopf. In dieser Kombination oder in diesem Spannungsfeld entsteht für mich der Klang.

 

Was hat dich bewogen, Komposition zu studieren?

Meine Mutter ist Kunstmalerin. Ich bin quasi in ihrem Atelier aufgewachsen. Meine ältere Schwester spielte ebenfalls Klavier und ist heute Flötistin.

Für mich war es irgendwie natürlich, mit Kunst und Musik aufzuwachsen. Ich habe im Alter von 6 Jahren angefangen, Klavier zu lernen. Und dann mit 14 Jahren habe ich meine ersten Kompositionen geschrieben. Nach dem Abitur bin ich nach Deutschland gekommen, um Komposition zu studieren.

 

Wie beginnst du eine Komposition und wie ist der weitere Arbeitsprozess?

Ich versuche, es mir zuerst im Kopf vorzustellen, welchen Klang oder welchen Körper ich in meiner Musik haben möchte. Und dann versuche ich, diese unkonkrete Vorstellung zu konkretisieren. Über die Konstruktion der einzelnen Parameter wie Klang, Struktur, Register, Dauer etc. erarbeite ich das Grundgerüst. Danach kommt die Zusammenarbeit mit den InstrumentalistInnen. Ich liebe es, mit ihnen zusammenzuarbeiten. InstrumentalistInnen (auch VokalistInnen) sind Spezialisten und kennen ihr Instrument oder ihre Stimme so gut wie kein anderer. Gleichzeitig versuche ich, Ihnen neue Wege und experimentelle Spieltechniken zu entlocken. Aus dieser experimentellen Arbeit entsteht unglaublich viel, was dann wieder in die Kompositionen einfließt. Komponieren ist also keineswegs nur das Arbeiten im verschlossenen Turmzimmer.

 

Komponieren, hören, fühlen… Wie ist hier der Zusammenhang?

Obwohl in meinen Kompositionen stets eine Struktur hinterlegt ist und ich zu Beginn oft ein rationales Gerüst erstelle und die harten Parameter wie Dauer, Struktur und Register, sind die weichen Parameter wie das Fühlen und das Hören wichtig, um der Komposition einen Charakter zu geben.

 

Welche Instrumente sind dir wichtig?

Für mich ist das Klavier am bedeutendsten. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich mit dem Klavier aufgewachsen bin und es während meiner Kompositionen oft benutze. Dabei ist das Klavier nicht immer das wichtigste Instrument in einer Komposition. Vielmehr brauche ich es als eine Art Korrektur oder Prüfinstrument, um bestimmte Töne oder Akkordverläufe zu hören und durch meine Ohren bestätigen zu können.

 

Welche Bedeutung haben Wettbewerbe, Auftragswerke, Freie Arbeiten bei dir?

Auftragswerke sind im Prinzip dasselbe wie Wettbewerbe. Im Gegensatz zur freien Arbeit gibt es meistens vorgegebene Besetzungen und bestimmte Voraussetzungen. Bei der freien Arbeit kann ich wirklich das komponieren, was ich persönlich ausdrücken möchte. Eigentlich nehme ich nicht besonders viel an Wettbewerben teil. Oder zumindest war das bisher der Fall. Es ist für mich nicht so einfach, mit einer vorgegebenen Besetzung und mit bestimmten Voraussetzung für einen Wettbewerb zu komponieren. Aber natürlich habe ich hin und wieder an Wettbewerben teilgenommen, weil ich als Komponistin dadurch die Chance habe, meine Musik einer breiteren Öffentlichkeit, die mich noch nicht kennt, vorstellen zu können.

 

Woran arbeitest du während deiner Residency?

Ich arbeite gerade an einer freien Komposition und nutze die Residency, um die Grundstruktur zu organisieren. Das große Atelier und die tolle Lage laden ein zum konzeptionellen Arbeiten und bieten viel Inspiration. Es soll ein Kammermusikstück werden. Während meines Aufenthaltes im Salzamt konnte ich ein paar Grundlagen wie kompositorische Dauer und Textur entwerfen, um den generellen Spannungsbogen zu bilden. Ursprünglich hatte ich geplant, während meiner Residency eine Komposition für ein großes Ensemble zu beginnen, um mein Repertoire zu erweitern. Aufgrund von Covid jedoch habe ich dieses Vorhaben auf später verschieben müssen, da relativ unklar ist, wann man wieder mit größeren Orchestern zusammenarbeiten kann.

 

Als Komponistin, die ihre Wurzeln nicht in Europa hat und die Neue Musik macht: Was hat das im Studium und jetzt beim Einstieg in das Berufsleben bedeutet?

Als ich in Deutschland ankam, war ich 19 Jahre alt. Natürlich war es am Anfang schwierig, sich im Alltag zurecht zu finden, wegen der Sprache und der anderen, mir fremden Kultur. In der Musik aber gab es keine Konflikte. Ich bin sehr „westlich“ erzogen worden. Meine Eltern haben mich und meine Geschwister sehr offen erzogen. Dadurch gab es schon früh viele Berührungspunkte mit europäischer Kunst und insbesondere europäischer Musik. Trotzdem bin ich ja Koreanerin und bin bis zu meinem 20. Lebensjahr in Seoul aufgewachsen. Ich möchte mir meine Herkunft beibehalten und in meiner Musik, meiner Klang-Identität verankern. Trotzdem ist es nicht sehr einfach als Frau und als Jemand, der nicht hier aufgewachsen ist, direkt nach dem Studium im Berufsleben Fuß zu fassen. Die Musikerwelt ist zum Teil noch recht konservativ und skeptisch gegenüber Neuerungen. Trotzdem ist das für mich kein Grund wieder „zurückzugehen“, sondern eher noch mehr Ansporn, an der Veränderung mitzuwirken. Allgemein jedoch möchte ich nicht auf meine Eigenschaft als Frau oder Ausländerin „reduziert“ werden und in dieser Rolle meine Arbeit verrichten, sondern als kosmopolitische Komponistin gesehen werden. Musik sollte uns verbinden, egal welches Geschlecht und welchen Ursprungs wir haben.

 

Kompositionen von Eun Ji Lee:

 ,,bANA’’  für Akkordeon Duo

,,Quitrio’’ für Alt- Saxophon, Posaune, Akkordeon (mit Zwei Flügeln)